Flugraum-Überwachung: Chaos am europäischen Himmel?
17.09.2007 | 18:25 |   (Die Presse)
Zu viele Flugzeuge am Himmel machen der Aufsicht zu schaffen.
Wien (cjd). „Zu Spitzenzeiten befinden sich etwa 5000 Flugzeuge am europäischen Himmel“, sagt Gerhard Stadler, Direktor der Eurocontrol Brüssel. Die europäische Behörde ist für die Sicherheit des gesamteuropäischen Flugraumes zuständig. Überwacht wird der europäische Flugraum von den nationalen Kontrollbehörden, wie beispielsweise der österreichischen Austro Control. Und diese stellt der stark wachsende Flugverkehr langsam aber sicher vor Kapazitätsprobleme. Nach den Zahlen der IATA, dem weltweiten Luftfahrtverband, stieg das Passagieraufkommen allein im letzten Jahr um 6,3 Prozent. Und: Der Status quo ist erst der Anfang. Bis 2020 wird sich der Flugverkehr verdoppeln, lauten die Prognosen der Experten – sofern sich die Konjunktur nicht verschlechtert.
„Mit den herkömmlichen Systemen der Flugraum-Überwachung wird man nur bis 2012 ein Auslangen finden“, meinte Stadler am Montag beim Luftfahrt-Symposium in Wien. Dann sind die Grenzen des Wachstums erreicht. Dann könnten unter Beibehaltung der herrschenden Flugsicherheits-Standards keine zusätzlichen Flüge koordiniert werden, ohne erhöhtes Sicherheitsrisiko.
Zersplitterte der Kontrolle
„Es ist nicht der Platz am Himmel, der Mangelware ist“, sagt Stadler. Das Problem liegt vielmehr darin, dass der Himmel über Europa in zahlreiche kleine nationale Lufträume zersplittert ist. Das erschwert die Koordination der Flüge ungemein, sagt der Experte. Vor allem bei Kurzstrecken wie Wien-London oder Paris-Berlin zeige sich das. Und Stadler untermauert seine Forderung nach dem „Single European Sky“ mit einem plastischen Beispiel: „Ein Flugzeug auf dem Weg von Wien nach Paris muss rund 20 autonome Sicherheits-Sektoren passieren. 20mal wechselt der Pilot die Frequenz, um relevante Information zum Flugraum empfangen zu können“, veranschaulicht er die Komplexität von Planung, Durchführung und Kommunikation vor und während der Flüge.
Eine Lösung hat die Eurocontrol parat. Sie besteht aus zwei Komponenten: Eine ist die technische Seite des Problems. Ein einheitlich europäisches System zur Flugraum-Überwachung würde die Arbeit der Lotsen bedeutend vereinfachen. Aktuell arbeiten die nationalen Behörden mit stark unterschiedlichen Systemen. Das erschwert die Koordination zusätzlich. Ein europäisches Programm ist bereits in Arbeit. SESAR wird es heißen, mit einem Budget von mehreren Mrd. Euro. Ab 2012 soll es zum Einsatz kommen, um das Chaos über Europa zu vermeiden.
Doch die Technik allein wird langfristig die Probleme am Himmel nicht lösen können: Die zweite Komponente hat viel mit Politik zu tun: Der von der Eurocontrol angestrebte „Single European Sky“ bedeutet, dass die nationalen Behörden ihre Lufthoheit zu Gunsten einer einheitlichen Überwachung des europäischen Luftraumes aufgeben. Mit starkem Widerstand ist daher zu rechnen. Denn allein aus militärischen Gesichtspunkten ist vielen EU-Staaten die eigene autonome Luftraum-Überwachung heilig.
AUF EINEN BLICK
Die IATA registrierte allein für das abgelaufenen Jahr ein Wachstum des Flugaufkommens im Personenverkehr von 6,3 Prozent.
Bis 2020 soll sich das Flugaufkommen verdoppeln, meinen Experten.
Die Flugraum-Überwachung stellt das zunehmend vor Kapazitätsprobleme.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2007)